BGH, Beschluss vom 15.03.2023 – VII ZR 150/22

Immer wieder streiten Parteien nach einer Vertragskündigung, insbesondere, wenn der Kündigungsgrund streitig ist, darüber, ob und in welchem Umfang vom gekündigten Auftragnehmer die vertraglich vereinbarte Vergütung auch für die infolge der Kündigung nicht mehr erbrachten Leistungen verlangt werden kann. Und immer wieder steht der auftraggeberseitige Einwand zu Diskussion, der Auftragnehmer habe sein Personal anderweitig einsetzen können, weshalb der anderweitige Erwerb auf den Vergütungsanspruch anzurechnen sei. Für den anderweitigen Erwerb trägt der Auftraggeber die Beweislast. Dies, obgleich er regelmäßig hierzu gar keine konkreten Kenntnisse haben kann.

Auch in diesem Fall stritten die Parteien über wechselseitige Ansprüche aus einem von der Auftraggeberin gekündigten Bauvertrag. Nachdem es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien kam und die Auftraggeberin deshalb den Vertrag gekündigt hatte, setzte die Auftragnehmerin ihr Personal umgehend auf anderen Baustellen ein und stellte ihre Schlussrechnung. Da ein außerordentlicher Kündigungsgrund nicht bestanden hatte, machte die Auftragnehmerin im Rahmen ihrer Schlussrechnung auch Vergütung für nicht erbrachte Leistungen gemäß § 648 S. 2 BGB geltend. Die Auftraggeberin wandte ein, dass die Auftragnehmerin diese Vergütung nicht verlangen könne, denn sie müsse sich anrechnen lassen, was sie durch den anderweitigen Einsatz ihrer Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen habe, § 648 Satz 2 BGB. Da die Auftragnehmerin ihr Personal unstreitig anderweitig einsetzen konnte, habe die Kündigung keine Schäden verursacht, denn freigewordene Kapazitäten hätte die Auftragnehmerin gewinnbringend nutzen können. Anderenfalls hätte die Auftragnehmerin nach Auffassung der Auftraggeberin konkret und substantiiert darlegen müssen, warum der Personaleinsatz bei keinem der anderen Aufträge wirtschaftlich gewesen wäre.

Entscheidung des BGH

Der BGH bestätigt dies, betont aber, dass nicht schematisch festgelegt werden kann, was vom Auftragnehmer im Einzelfall im Hinblick auf etwaigen anderweitigen Erwerb darzulegen ist. Vielmehr sei stets darauf abzustellen, inwieweit im konkreten Einzelfall Darlegungen des Auftragnehmers erforderlich sind, um den Auftraggeber in die Lage zu versetzen, seine Rechte sachgerecht zu wahren.

Hierfür reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der Auftragnehmer wahrheitsgemäß, nachvollziehbar und ohne Widerspruch zu den Vertragsumständen dazu erklärt, inwieweit ein Füllauftrag erlangt worden bzw. er es nicht böswillig unterlassen habe, einen solchen zu erlangen. Je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb jedoch ist, umso ausführlicher müssen auch die Angaben des Auftragnehmers hierzu sein. Eine erhöhte Darlegungslast des Auftragnehmers ist nach Auffassung des BGH z.B. dann ergeben, wenn es nach Art und Dauer des gekündigten Leistungsteils nahe liegt, dass der Auftragnehmer sein Personal anderweitig beschäftigt hat. Der Auftraggeber kann allerdings grundsätzlich nicht verlangen, dass der Auftragnehmer von vorneherein seine gesamte Geschäftsstruktur offenlegt, um beurteilen zu können, welche Aufträge auch ohne die Kündigung akquiriert worden wären.

 Praxistipp

Der BGH macht deutlich, dass je mehr Anhaltspunkte für einen anzurechnenden anderweitigen Erwerb vorliegen, desto höher auch die Pflicht des Auftragnehmers ist, darzulegen (und auch zu beweisen), ob er aufgrund der Kündigung anderweitige Aufträge gewinnbringend bearbeiten konnte. Nur so ist dem Auftraggeber eine sachgerechte Prüfung und Erwiderung zur Wahrung seiner Rechte möglich. Entscheidend war für den BGH insoweit vorliegend, dass der Auftragnehmer eingeräumt hatte, dass er sich im Rahmen seines Geschäftsbetriebes kontinuierlich um nahezu alle ausgeschriebenen Aufträge bewirbt und auch Aufträge entgegennimmt, die seine jeweiligen eigenen Leistungskapazitäten übersteigen, und er daher auch sein Personal regelmäßig zwischen den einzelnen Baustellen und Aufträgen verschiebt. Aufgrund dieses unstreitigen Vortrags bestätigte der BGH auch eine erhöhte Darlegungslast des Auftragnehmers hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen des Einsatzes des gekündigten Personals bei den bereits vorsorglich angenommenen Füllaufträgen. Hätte der Auftragnehmer weniger vorgetragen, hätte er insoweit vielleicht weniger Angriffsfläche geboten.

Auch wenn das Urteil vorliegend zu einem Bauvertrag ergangen ist, gilt beim Architekten- und Ingenieurvertrag nichts anderes. Gerade hier kommt aufgrund der oftmals nicht bzw. nur marginal vorhandenen ersparten Aufwendungen dem Einwand des anderweitigen Erwerbs große Bedeutung zu.

Die in Verträgen oftmals übliche „40/60-Prozent-Klauseln“ helfen hier nur bedingt weiter, weil Sie nur eine Vermutungsregelung aufstellen, der Auftragnehmer jedoch stets auch einen höheren Vergütungsanteil verlangen kann, sofern sich ein solcher unter Anrechnung ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs ergibt.

 

Rechtsanwältin Alexandra Riemann

Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

Mediatorin