OLG Zweibrücken, 5. Zivilsenat, Beschluss, 03.12.2020, 5 U 62/20
Der vom OLG Zweibrücken entschiedene Fall reiht sich in die vielen ergangenen Urteile zu Mehrkosten infolge sog. „gestörten Bauablaufs“ bzw. der Bauzeitverlängerung ein. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Auftragnehmer ist mit seinem Anspruch auf Zahlung eines sechsstelligen Betrages infolge von auftraggeberseitigen Behinderungen nicht durchgedrungen, weil er seinen Anspruch – wie schon so viele vor ihm – nur auf einen baubetrieblichen Nachtrag gestützt hat, anstelle nach Anspruchsgrundlagen zu unterscheiden und diesbezügliche Anspruchsvoraussetzungen darzulegen.
Das Gericht hat wie viele Gerichte vor ihm klargestellt, dass grundsätzlich Ansprüche auf Schadensersatz nach § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B oder gemäß § 6 Abs. 6 S. 2 VOB/B i. V. m. § 642 BGB auf Entschädigung vorliegen könnten, ebenso Ansprüche auf zusätzliche Vergütung infolge geänderter oder zusätzlicher Leistungen nach § 2 Abs. 5 respektive Abs. 6 VOB/B oder sogar auf Vergütungsanpassung aus Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB.
Macht ein Auftragnehmer Ansprüche wegen Bauzeitverlängerung geltend, die sowohl auf vertragsgemäßen Anordnungen als auch auf vertragswidrigen Eingriffen des Auftraggebers beruhen, müssen die vertragsgemäßen und vertragswidrigen Bauzeitverlängerungen hinsichtlich ihrer jeweiligen Ursache und ihres jeweiligen Umfangs jedoch deutlich getrennt voneinander dargelegt werden. Nur dann sind die Voraussetzungen für die verschiedenen Ansprüche schlüssig dargelegt. Macht der Auftragnehmer Schadensersatz wegen Bauablaufstörungen geltend, hat er daher im Einzelnen darzulegen, welche konkreten Mehrkosten ihm konkret durch welche Behinderung tatsächlich entstanden sind. Hiermit lässt sich eine Schadensberechnung, die einen von dem jeweiligen Fall losgelösten, nur an allgemeinen Erfahrungssätzen orientierten Schaden ermittelt, nicht vereinbaren.
Weil zum einen eine Pflichtverletzung für Schadensersatzansprüche und das Verschulden auftragnehmerseits dargelegt werden müssen und zum anderen bei Nachträgen eine Anordnung des Auftraggebers und die daraus resultierenden Mehrkosten aufgeführt sein müssen, kann nicht auf einen einheitlichen Sachverhalt, wie es baubetriebliche Gutachten in der Regel tun, abgestellt werden. Es wird diesbezüglich auch von einer sog. „bauablaufbezogenen Darstellung“ gesprochen.
Der einheitliche Sachverhalt ergab sich im vorliegenden Fall aus der Darstellung der Verlängerung durch den Abgleich zwischen dem sog. „Soll 1“ bzw. „Soll‘ “ und dem sog. „störungsmodifizierten Bauablauf“ auch „Soll 2“ oder „Soll“ „. Diese enthielt schon bereits keine Differenzierung zwischen verschuldeten Pflichtverletzungen und unverschuldeten Anordnungen zu geänderten und zusätzlichen Leistungen sowie nicht vom Auftraggeber zu vertretenden oder ihm zuzurechnenden Behinderung. Dem Gericht war es insofern nicht einmal im Ansatz möglich gewesen, die Kausalität in Bezug auf die unterschiedlichen Ursachen aus einem einheitlich abgeleiteten Soll 2 zudem noch ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Bauablaufs zu ermitteln. Es fand – so das Gericht – gar keine Darlegung statt.
Das OLG Zweibrücken weist in den Entscheidungsgründen auch nochmal ausdrücklich darauf hin, dass der Auftragnehmer nach den allgemeinen Grundsätzen für sämtliche Kriterien nach § 642 Abs. 2 BGB darlegungs- und beweisbelastet ist. Das OLG Zweibrücken hat daher den Ansprüchen eine Absage erteilt, da weder die Dauer des Annahmeverzugs des Auftraggebers differenziert dargelegt wurde noch die daraus resultierenden vorgehaltenen Produktionskosten für den Zeitraum benannt wurden. Es wurde zudem auch kein Bezug zur Gesamtvergütung hergestellt. Es wurden AN-seits im Gutachten offensichtlich nur Personal- und Gerätekosten angegeben, ohne eine Ableitung zum Leistungsverzeichnis bzw. der Urkalkulation herzustellen. Auch wurde zum anderweitigen Erwerb nicht vorgetragen, weil man nur pauschal darauf abgestellt habe, dass das vorgehaltene Personal und die vorgehaltenen Geräte nicht anderweitig auf der Baustelle eingesetzt werden konnten.
Das OLG Zweibrücken führt aus, dass dieser Vortrag nicht der Darlegungslast des Auftragnehmers entsprechen würde, insbesondere dann, wenn der Auftraggeber vorträgt, dass das Personal und die Geräte auf anderen Baustellen hätten eingesetzt werden können, weil zwischen den Parteien Verträge zu Parallelbaustellen bestanden und der Auftraggeber auf diese verwiesen hat. Insofern ist man auch nicht zu der gewünschten Schätzung nach § 287 ZPO für die haftungsausfüllende Kausalität gekommen. Der Verweis auf Subunternehmerverträge und deren Kosten reicht ebenfalls nicht aus, da kein Nachweis erfolgt sei, dass die Subunternehmer gegenüber dem Auftragnehmer überhaupt solche Mehraufwendungen geltend gemacht haben. Auch hier kann keine fiktive Vergütung verlangt werden, auch wenn man sich auf § 642 BGB beruft.
Aus denselben Gründen hielt das Gericht auch einen möglichen Anspruch nach § 313 BGB für nicht gegeben, ohne aber dessen Voraussetzungen im Ansatz zu subsumieren.
Die Entscheidung resultiert aus der einschlägigen BGH-Rechtsprechung (BGH zu § 6 Abs. 6 VOB/B, Urteil v. 24.02.2005 – VII ZR 141/03) und den darauffolgenden OLG-Entscheidungen zur sog. „bauablaufbezogenen Darstellung“. Darunter verstehen die Gerichte, insbesondere das OLG Köln (Urteil v. 28.01.2014 – 24 U 199/12; Urteil v. 23.02.2015 – 17 U 35/14; Urteil v. 29.08.2019 7 U 113/18), dass jede einzelne Behinderung mit ihren konkreten Auswirkungen auf den Bauablauf und damit die Kosten bzw. Vergütung darzulegen, d. h. darzustellen sind. Nur damit sei die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität ausreichend dargelegt.
Infolge der Grundsatzentscheidung des BGH zu Ansprüchen aus § 642 (BGH Urteil v. 30.01.2020 – VII ZR 33/19 und v. 26.10.2017 – VII ZR 16/17) liegt nunmehr noch mehr Gewicht auf Ansprüchen aus § 6 Abs. 6 VOB/B oder bauzeitverlängernden sog. „technischen Nachträgen“ gem. §§ 2 Abs. 5 bzw. 6 VOB/B. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 26.10.2017 zur „bauablaufbezogenen Darstellung“ wörtlich ausgeführt:
„Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, wonach eine bauablaufbezogene Darstellung vorliegend entbehrlich war, und ob das Berufungsgericht darüber hinaus hinreichende Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen des § 642 BGB getroffen hat. Neben der fehlenden oder nicht rechtzeitigen Mitwirkungshandlung des Bestellers ist erforderlich, dass der Unternehmer zur Leistung bereit und imstande ist (§ 297 BGB), seine Leistung wie geschuldet dem Besteller angeboten (§§ 294 – 296 BGB) und, sofern die Parteien die Einbeziehung der VOB/B vereinbart haben, ordnungsgemäß die Behinderung, wenn diese nicht offenkundig ist, nach § 6 Abs. 1 VOB/B angezeigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – VII ZR 440/01, BauR 2003, 531, 532 = NZBau 2003, 325; Urteil vom 21. Oktober 1999 – VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, 40 f.). Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts umfasst der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB nicht die Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers infolge Unterlassens einer ihm obliegenden Mitwirkungshandlung, aber erst nach dessen Beendigung anfallen, nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung.“
D. h. wegen der vom BGH erteilten Absage an den geltend gemachten Anspruch auf Mehrkosten in der Verlängerung auf der Grundlage von § 642 BGB musste sich der BGH nicht mit der Darlegung des Verlängerungszeitraums beschäftigen. Der BGH hat bis heute nicht bestätigt, dass eine bauablaufbezogene Darstellung notwendig ist bzw. diese in der Form, wie es die Oberlandesgerichte fordern, eine Darlegung im Sinne seiner Grundsatzentscheidung vom 19.12.2002 darstellt.
Bei § 642 BGB haben die meisten Oberlandesgerichte ebenfalls eine sog. „bauablaufbezogene Darstellung“ wie das OLG Köln gefordert (so auch u. a.: OLG Brandenburg, Urteil v. 18.02.2016 – 12 U 222/14; OLG München, Urteil v. 20.11.2007 – 9 U 2741/07 und Urteil v. 26.09.2017 – 28 U 2834/09; OLG Stuttgart, Urteil v. 14.08.2018, 10 U 154/1/; OLG Celle, Urteil v. 04.03.2020 – 7 U 334/18). Dabei wird auf das BGH-Urteil vom 24.02.2005 z. T. abgestellt, sodass die Gerichte auch bzw. erst recht für Ansprüche nach § 6 Abs. 6 VOB/B eine bauablaufbezogene Darstellung fordern würden. Im Fall des OLG Karlsruhe (Urteil v. 27.08.2020 – 8 U 49/19) war eine bauablaufbezogenen Darstellung nicht notwendig, weil Anfangsverzug vorlag, der eindeutig auf Mitwirkungsverzug des Auftraggebers zurückging, d. h. es gab keine Mehrfachkausalitäten wie in der Regel bei der Bauzeitverlängerung. In der einschlägigen Literatur, die vielfältig ist und daher hier wegen des Umfangs nicht zitiert wird, wird der Anspruch an die bauablaufbezogene Darstellung als überzogen angesehen. Mangels Vorgaben des BGH seien die Urteile daher nicht richtig.
Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass das OLG Zweibrücken dem Anfangstatbestand, nämlich der Anpassung der Vergütung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB eine Absage erteilt hat. Dies aus denselben Gründen, die zu § 6 Abs. 6 VOB/B, § 642 BGB und im Übrigen zu § 2 Abs.5 und 6 VOB/B gemacht wurden. Eine Vertiefung in diese Ableitung erfolgte nicht. Dies wäre aber einfach gewesen, weil letztendlich Ansprüche aus § 313 BGB bei einer spezielleren Norm gar keine Anwendung finden.
Praxistipp:
Man muss sich als AN viel Zeit nehmen, um einen Anspruch auf Mehrvergütung für den sog. „gestörten Bauablauf“ zu stellen. Man sollte keinesfalls nur auf baubetriebliche Gutachter vertrauen. Außerdem muss zeitnah zur Behinderung auf der Baustelle z. B. dann reagiert werden, wenn man sich auf §§ 2 Abs. 5 VOB/B berufen will, weil AN-seits die Anordnung herbeigeführt und dokumentiert werden muss.
Eine verallgemeinernde Betrachtung im Hinblick auf eine Gesamtverlängerung des ursprünglichen Fertigstellungstermins nach dem Bauvertrag ist zurzeit wg. der weit überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wohl ausgeschlossen. Lediglich Verursachungsbeiträge sollten vom baubetrieblichen Gutachter – soweit beauftragt – eingeschätzt werden, auch wenn es sich am Ende bei Kausalitätsfragen um Rechtsfragen mit einem entsprechend weiten rechtlichen Ermessensspielraum handelt.
Auch das Urteil des OLG Zweibrücken zeigt, dass sich die baubetriebliche Gutachterpraxis noch nicht auf die Rechtsprechung des BGH und der OLG zur Bestimmung der Anspruchsgrundlage und der Einzelableitung entschieden hat. Die baubetrieblichen Gutachter schulden keine Rechtsberatung, sodass sie auf den Auftraggeber zugehen müssten, um eine entsprechende Prüfung vorab vornehmen zu lassen, damit dann ein sinnvolles und verwertbares baubetriebliches Gutachten erstellt werden kann. Im Umkehrschluss könnte man auch die Ableitung der Einzelstörungen auf den Bauablauf bestimmen und baubetrieblich anmerken, dass hierzu die Anspruchsgrundlage geklärt werden muss. Erst im zweiten Schritt kann dann eine Bestimmung des Anspruchs der Höhe nach erfolgen – jeweils sortiert nach Anspruchsgrundlagen.
Rechtsanwältin Ursula von Minckwitz
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