OLG Hamm, Urteil vom 13.03.2010 – 21 U 15/06 – veröffentlicht in IBR-online (Werkstattbeitrag vom 18.10.2010), IBR 2010, 610, 671

Entscheidung
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schreibt unter anderem einen sogenannten Düker – eine Rohr-Unterführung – unter der Ruhr hindurch aus. Der Düker soll laut Ausschreibung im HDD-Verfahren hergestellt werden. Der Bieter und spätere Auftragnehmer (AN) gibt unter dem 24.03.2003 ein Angebot ab, bei welchem die Horizontalbohrarbeiten als Nachunternehmerleistungen vorgesehen sind, weil der AN selbst darauf nicht eingerichtet ist; das Angebot des Nachunternehmers (NU) stammt vom 17.03.2003. Die Angebotsphase dauert lang an und der AG lässt mehrfach die Bindefrist verlängern. In einem Aufklärungsgespräch am 09.02.2004 äußert der AN Zweifel daran, dass die Dükerung im HDD-Verfahren machbar ist. Der NU teilt diese Bedenken und teilt mir, dass er sich an sein ursprüngliches Angebot nicht mehr gebunden hält, die Arbeiten grundsätzlich aber noch ausführen würde; hierzu überreicht er allerdings eine neue „Kostenschätzung“. Der AN erhält den Zuschlag. Anschließend streiten sich die Parteien über die Machbarkeit, was darin endet, dass der AN die Ausführung der nach seiner Auffassung nicht machbaren Leistung verweigert und der AG ihm daraufhin fristlos kündigt. Der AN rechnet schließlich erbrachte und auch nicht erbrachte Leistungen ab, da er meint, die Kündigung sei als freie Kündigung zu verstehen.

Das LG Essen und das OLG Hamm weisen die Klage ab.
Zwar wird die Kündigung als freie Kündigung gewertet. Das OLG stellt aber entscheidend darauf ab, dass der AN bei Durchführung der Baumaßnahme allein aus der NU-Vergabe so große Verluste gemacht hätte, dass jeglicher mögliche andere Gewinn sowie die Vergütung für erbrachte Leistungen dadurch „aufgebraucht“ wäre. Da der gekündigte AN nämlich infolge der Kündigung weder besser noch schlechter stehen darf als ohne die Kündigung, ist zu berücksichtigen, wie die Baumaßnahme tatsächlich verlaufen wäre. In den meisten Fällen wird sich der AN dabei auf seine Kalkulation berufen dürfen, da anzunehmen ist, dass die Baumaßnahme im Wesentlichen so durchgeführt worden wäre, wie es nach Vertrag vorgesehen war. Wenn aber Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der tatsächliche Verlauf davon abgewichen wäre, dann ist der Abrechnung der voraussichtliche Verlauf zugrunde zu legen. Im konkreten Fall hat der AN selbst vorgetragen, dass das HDD-Verfahren nicht machbar gewesen wäre. Der vom Gericht bestellte Sachverständige hat dann auf Basis der Kostenschätzung des NU ermittelt, dass bei dem zu erwartenden Verlauf der AN an den NU 471.436,00 € hätte zahlen müssen, was einen Preisanstieg gegenüber dem ursprünglichen Angebot des NU um ca. 183.200,00 € bedeutet hätte. Diese immense Kostensteigerung hätte der AN nicht an den AG weiterleiten können, da sie nicht auf geänderte Leistungen, sondern lediglich auf eine Änderung der Kalkulationsgrundlagen des NU zurückzuführen waren. Der AN hätte also tatsächlich einen Verlust gemacht, der den kalkulierten Gewinn und auch die Vergütung für die bereits erbrachten Leistungen „aufgezehrt“ hätte.


Praxishinweis

Die Abrechnung nach freier Kündigung scheint eine der größten Schwierigkeiten für viele AN zu bedeuten. Dabei ist es – der Rechtsprechung des BGH folgend – im Normalfall nicht schwierig: Die erbrachten Leistungen werden nach Vertrag abgerechnet und auch mit der Umsatzsteuer belegt. Die nicht erbrachten Leistungen werden nach den LV-Preisen berechnet, dann werden die infolge der Kündigung ersparten Aufwendungen (also meist jedenfalls der Material- und Geräteeinsatz) abgezogen. Das Ergebnis ist ohne Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen. Schwieriger wird es beim Pauschalvertrag, bei dem unter Umständen durch ein nachträglich erstelltes LV die zu erbringenden Leistungen und die dafür kalkulierten Preise plausibel darzulegen sind. Merke also: Entgangener Gewinn kann bei einer freien Kündigung durch den Auftraggeber vom Auftragnehmer nur dann begehrt werden, wenn auf Grundlage seiner Kalkulation und des voraussichtlichen Bauablaufs tatsächlich ein Überschuss angefallen wäre.